Solange ich lebe

Solange ich lebe, erinnere ich mich nicht, jemals einen so süßen Brief erhalten zu haben wie jenen, den Euer Gnaden mir bei Ihrer Abreise übergaben, denn mit ihm gabt Ihr mir den Beweis, dass ich in Eurer Huld stehe. Dieses Zeichen der Gewissheit aus Eurer Hand hat mir, wenngleich ich schon früher, wie jetzt, einige Anzeichen besaß, unendliche Genugtuung und Befriedigung verschafft. So statte ich Euch nun hiermit jenen herzlichsten Dank ab, den ich, der kein anderes Gut als Euch besitzt, für ein so liebes Geschenk schuldig bin. Auf Eure Worte, dass ich mit meinem Briefe Euren Kummer gelindert hätte und dass Ihr dies schon seit langem erwartet hättet, erwidere ich: Ihr müsst wissen, dass Ihr in der ersten Stunde, da ich Euch erblickte, so stark in mein Herz eingedrungen seid, dass Ihr aus keinem Grunde wieder daraus entwichen könnt. Und wenn ich Euch gegenüber lange geschwiegen habe, so kam dies daher, dass mein verwünschtes Missgeschick, das sich allen meinen höchsten Wünschen mit größter Macht entgegenstellt, dies so gewollt hat. Mein einziges Streben war es, in meinem leidenden, brennenden Herzen die Flammen zu dämpfen, und wenn dieses mein Missgeschick sich mir jetzt heftiger denn je entgegenstellt, so schreckt es mich nicht, wie es mich nie abschrecken wird, Euch trotz allem zu lieben, Euch als meines Lebens einzige und geliebte Herrin zu betrachten, Euch mit all jener reinen und hehren Treue zu dienen, mit der ein unwandelbar innig Liebender jener Frau, die er über allen irdischen Dingen liebt und ehrt, dienen kann. Inständig bitte ich Euch, ändert Eure Liebe nicht und werdet ja nicht traurig darüber, dass sich, wie Ihr seht, viele Dinge unseren Wünschen hindernd in den Weg stellen, sondern denkt vielmehr daran, Eure Liebe zu kräftigen, je schwieriger sich Euch Euer Unterfangen darbietet. Denkt daran, dass ein jeder dann zu lieben weiß, wenn die Verhältnisse günstig und glücklich liegen, doch wenn tausend Widerstände und Schwierigkeiten, tausend Hindernisse, tausend Schranke, tausend Mauern zu überwinden sind, dann weiß nicht ein jeder zu lieben; oder wenn er es weiß, hat er nicht den Willen dazu, und wenn er es doch will, so besitzt er keine Ausdauer. So ist dies etwas höchst Seltenes, und da es sehr selten ist, so ist es auch schöner, hochherziger, lobenswerter und bedeutsamer, ein Zeichen erhabenen und edlen Herzen. Denn wie sehr ich auch unserer Liebe eher Ruhe vor Schwierigkeiten wünsche, so werde ich doch nicht gehindert, Euch zu lieben und in meinem Inneren zufrieden zu sein. Ich stärke mich an der Erhabenheit meines Gedankens, dass ich Euch trotz widrigen Geschicks liebe und dass mir dies nicht genommen werden kann; und wenn ich mir dazu noch vorstelle, dass auch Euch nichts davon abbringen kann, mich zu lieben, dann muss endlich jener Tag kommen, an dem wir siegen und das widrige Schicksal überwinden, wenn wir uns nicht von ihm niederdrücken und dadurch besiegen lassen Dann wird uns die Erinnerung daran, dass wir treue und standhafte Liebende waren, eine liebe und süße Erinnerung sein. Diese Erinnerung allein wird uns glücklich machen, müssen wir uns doch bewusst sein, dass diejenigen Siege, die am schwierigsten und am mühsamsten errungen worden sind, den Höchsten und befriedigendsten Triumph darstellen. Da Ihr mir sagt, dass Euch für Euer Leben nur der Wunsch noch leitet, es meinem Dienst zu widmen, so erwidere ich Euch, dass auch ich fortan mein Leben nur mit dem einen Wunsch weiterzuführen wünsche, es Euch zu widmen, und ich werde mich zu keiner Zeit scheuen, es für Euch jeder Gefahr auszusetzen, ja selbst es Euch zu Gefallen dahinzugeben, und da man doch auf jeden Fall sterben muss, wobei zehn oder zwanzig Jahre mehr oder weniger nicht von Bedeutung sind, so würde es mir spßer sein, diese Welt, da es doch einmal sein muss, lieber heute als Euer Diener und um Euretwegen zu verlassen, als noch lange Zeit ohne Eure Huld zu leben. Da Ihr nun wisst, dass ich mich glücklich schätzen würde, etwas tun zu dürfen, was Euch Freude zu bereiten vermöchte, so bitte ich Euch, es mir ohne die geringste Rücksicht auf mein Leben zu sagen. Vor allem bitte ich Euch, darauf zu achten, dass kein Mensch Eure Gedanken zu erraten vermag, damit die Pfade, die zu unserer Liebe Führen, nicht noch mehr verengt und versperrt werden. Vertraut Euch auch keiner Person an, sei es, wer es will, bis ich zu Euch komme, was sicherlich zu Ostern geschehen wird, wenn ich dann noch am Leben sein würde. Der Überbringer dieser Zeilen, einer meiner Vertrautesten, der in Kürze nach Verona kommen wird, wird zu Euch zurückkehren, um zu erfahren, ob Ihr mir nichtetwas aufzutragen habt. Lasst Euch herab, mir in der Zwischenzeit eine Antwort zu schreiben und diese ihm heimlichst einzuhändigen, damit sie mir ganz sicher überbracht werde. Ja, ich bitte Euch herzlich, da wir uns doch von Mund zu Mund wenig sprechen können, Euch damit zufrieden zu geben, im Briefe ausführlich mit mir zu sprechen und mir von Eurem Leben zu erzählen: wie Ihr Euer Leben verbringt, welche Gedanken Euch bewegen, mit wem Ihr vertraut verkehrt, was Euch Kummer bereitet und was Euch Trost verschafft. Gebt auch Acht, dass Euch niemand schreiben sieht, denn ich weiß wohl, dass Ihr scharf überwacht werdet. Ich werde also, wie ich Euch bereits sagte, zu Ostern dorthin kommen und ich werde mich dann auf einen Monat oder etwas länger nach Rom begeben. Nunmehr küsse ich Eure so süße Hand, von der mein Herz angetrien wird, und überdies küsse ich, wenn Ihr mir diese Gunst erweist, eines von Euren beiden so anmutigen, strahlenden und süßen Augen, die erste und eine schöne, doch nicht einzige Ursache meiner Leidenschaft. Denkt zuweilen daran, dass ich an nichts anderes denke, nichts anderes wünsche und verehre, als Euch allein, und alle Schläge des Schicksals wie alles Unrecht, das mir von ihm angetan werden kann, werde ich nicht fürchten, wenn ich wissen werde, dass ich in Euren Gedanken und in Eurer Liebe lebe, keine andere Glückseligkeit in diesem Leben wünsche ich mir noch als Euch, meines schwerbestürmten Schiffes ruhiger und süßer Hafen. Erweist mir die Gunst, das beigefügte Agnus Die, das ich eine Zeit lang auf meiner Brust getragen habe, einige Male des Nachts aus Liebe zu mir zu tragen, wenn Ihr es am Tage nicht tragen könnt, damit jene liebe Herberge Eures edlen Herzens, die ich um den Preis meines Lebens ein einziges Mal lange küssen möchte, wenigstens von jenem Reif berührt wird, der lange Zeit auf der Herberge meines Herzens geruht hat. Lebt wohl!

Pietro Bembo an Lucrezia Borgia | Venedig, Februar 1505

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