Romeo schreibt Euch, Julia. Wenn Ihr Euch weigert, es zu lesen, so wäret Ihr grausamer als Eure Eltern, deren langwierige Kämpfe sich gelegt haben. Diese schrecklichen Kämpfe werden sicherlich nie wiederkehren.
Vor wenigen Tagen noch kannte ich Euch eigentlich nur vom Hörensagen; ich hatte Euch wohl manchmal in der Kirche oder bei den Festlichkeiten gesehn; ich wußte, daß Ihr die Schönste seid; tausend Münder sangen mir Euer Lob; aber diese Lobreden und Eure Reize erreichten mich, ohne mich zu blenden… Warum hat mich der Friede Eurem Reiche ausgeliefert? der Friede?… Er herrscht heute in unseren Familien, aber der Aufruhr tobt in meinem Herzen…
Ich habe Euch wiedergesehn. Die Liebe schien mir zu lächeln…, allein mit Euch auf einer runden Bank sitzend, habe ich gesprochen, habe ich gewähnt, daß sich ein Seufzer Eurer Brust entringe. Eitle Einbildung! Von meinem Irrtum geheilt, sah ich die Gleichgültigkeit mit ruhiger Stirn zwischen uns beiden sitzen… die Leidenschaft, die mich beherrscht, drückte sich in meinen Reden aus und die Euren trugen den liebenswürdigen und grausamen Stempel der Scherzhaftigkeit. O Julia! Das Leben ohne Liebe ist nur ein langer Schlaf! Die schönste Frau muß fühlen können: glücklich der Sterbliche, welcher der Freund Eures Herzens wird!
Lucian Bonaparte an Mme. Récamier | Venedig, 27. Juli 1799