Hier sitze ich, meine liebe Ernestine, die Pfeife im Munde, und eine Tasse Tee vor mir. Das Gesicht glüht mir von der Kälte, und die Finger sind noch eben so starr als gestern, da wir vom Spaziergange zurückkamen und uns mit Kaffe erquickten. Ich habe den ganzen Weg her nicht viel anderes gedacht, als dich und unsre Kinder, wie ihr mit Großmutter nachsaht, was ihr nun wohl machtet, was ihr nun wohl von mir plaudertet, und mir Gutes wünschtet. In Hasseldorf erquickte ich meinen Fuhrmann mit Brantewein, wozu er Brr! sagte. Dafür verschaffte er mir noch ein halb Bund Stroh, mir die Füße zu wärmen. Wenn du diesen Brief liesest, bin ich schon bei Graf Christian (zu Stollberg) in Tremsbüttel. Jetzt bist du bei den Kindern. Wie lebhaft ich euch vor mir sehe! Heinrich und Wilhelm auf dem Stuhle stehend, und Hans mit dem Löffel im Munde. Küsse die süßen Dinger, und erzähle ihnen viel von ihrem Vater. Sei auch nicht traurig, meine Liebe, und bleib mir recht gesund, daß ich meine Lust an dir sehe, wen ich wieder komme. Du bist doch mein Liebstes auf der Welt!Denke auch an mich, wenn du schlafen gehst, und wenn du aufwachst, strecke die Hand nach mir aus. Was das morgen Abend für eine Freude sein wird, wenn das heilige Christgeschenk in aller seiner Pracht und Erleuchtung vor den Jungen erscheint. Laß sie dir auch einen Kuß für ihren Vater geben, der in Gedanken bei euch sein wird. Und Weihnacht Mittag trinkt hübsch meine Gesundheit in dem übrig gebliebenen Bischof (Glühwein). Er hat mir heute sehr wohl gethan, und ich danke dir, liebes Mädchen. Die Mamsell Töchter des Wirts sitzen um mich und machen Schmuck, der vermutlich übermorgen in der Kirche prunken soll. Der Herr Wirt tuscht manchmal, daß sie den Herrn Tector nicht stören; und ich sagen dann: „ Lassen Sie nur, es stört mich nicht“. Das wird den Buben auch gefallen, daß sie nun ungescholten beim Tee plaudern können. Mache doch, daß sie mich darum doch lieb behalten. Ich fühle es heute mit allen Kräften meiner Seele, wie lieb ich euch habe, diech Mutter, und die spßen Kindelein!
Dank dir, lieber Gott, daß du mich so gesegnet hast! Nun Gute Nacht, mein edles Weibchen. Denke wachen und schlafend deines Mannes, der ohne dich keine Freude ganz genießen kann, und bleib fröhliches Geistes. Wir sind, nahe und fern, in der Hand unseres großen Vaters. Ich schließe dich mit wallender Inbrunst an mein Herz. Grüße Großmutter und gieb den Kindern, gleich wenn du dies gelesen hast, nach der Reihe einen Kuß. Es tzt nichts, wenn der Kleine auch den Kopf zurückzieht. Er soll mich wohl lieb gewinnen, wenn er größer wird. Noch einmal, lebe wohl, du Beste!
Johann Heinrich Voß und Ernestine | Seeberg, der 23.12.1783