Ich kann Dir nun

Ich kann Dir nun Gottlob melden, daß ich übermorgen um 7 Uhr mit den Grafen von Stolberg von hier abreise. Die Grafen gehen unterwegs noch auf ein paar Tage nach Gartow, einem Gute, das dem Bruder des Grafen von Bernstorff gehört. Sie sind zwar so gut gewesen, mich dahin einzuladen, und haben mich schon beim Herrn v. Bernstorff angemeldet; ich habe aber gedankt und werde sie verlassen, wo sie von der Poststraße abgehen und grade nach Wandsbeck meinen Lauf richten. Am Sonntag Mittag wenigstens hoffe ich mit Gottes Hilfe schon mit Dir zu essen, nachdem ich eine halbe Stunde an Deinem Hals gelegen bin, liebes, gutes Mädchen. O ich will froh sein, wenn ich erst bei Dir bin und Euch alle gesund und wohl sehe, ich habe mich oft von Herzen nach Dir und Deinem Kuß gesehnt und sehne mich in diesem Augenblick danach, mein trautes, herrliches Weib. Gott segne und bewahre Dich und die beiden Muthen. Ich befinde mich Gottlob recht wohl und will eben eine Tasse Coffee trinken. Deine Gesundheit!

Auf der Herreise waren mir die Knie von dem langen Sitzen so steif und weh geworden, daß ich kaum stehen konnte, als ich hier ankam und meinen Weg von 100 Schritten nur in einer halben Stunde und mit vielen Schmerzen zurücklegte. Mir ward halb bange, wo weh taten mir die Knie, und ich konnte nicht niedersitzen noch aufstehen. Aber den anderen Morgen war alles fast ganz vorüber und ich tat einen hohen Sprung auf dein Wohlsein. Wenn es auf der Rückreise wieder so gehen sollte, das wäre sehr fatal, und ich wüßte wahrlich nicht, will mich aber schon vorsehen und die Beine nicht so krumm wie auf der Herreise, sondern lang voraus setzen.

Ich habe gestern Herrn Nicolai besucht, den ich mir älter und ehrenfester vorgestellt habe. Er hatte zwei Gelehrte aus Leipzig und Wien bei sich, die nicht viel Gutes und Bestes von mir verraten sollen, denn ich stand da wie ein Maulaffe und drehte bald den Rücken, bald den Bauch vorwärts.

Von Herrn Burmann, der hier Zeitungsschreiber ist und das Grablied auf meinen Tod gemacht hat, kann ich Dir eine rechte Komödie erzählen. Ich ging zu ihm und stellte ihn zur Rede: „Herr Burmann“ sagte ich, „der Schiffer Charon, der die abgeschiedenen Seelen nach Elysium hinüberschifft, laßt Sie Grüßen, er hat aus Ihrer Zeitung gesehen, daß Asmus gestorben ist. Asmus hat sich aber nicht bei ihm gemeldet und muß unter einem andere Namen passiert sein. Er bitte Sie also um die näheren Umstände, damit er den Unterschlief untersuchen könne.“

Mein Herr Burmann sah mich steif an und vergaß sich selbst, und sein Mund blieb ihm halb offen stehen. Ich setzte den Spaß noch ein Weilchen fort und sagte endlich, da ich Herr Asmus sei. Nun fing mein Herr Burmann, der schon wenn er still sitzt eine sehr lustige Figur ist, an zu springen wie ein Ding, das tot ist, lachte, schrie, sprang wieder, las etwas in Wandsbecker Boten seinen Werken, sprang wieder etc. etc. und konnte sich in sein Glück nicht finden, das größer sei, sagt er als wenn ihn 6 Fürsten besucht hätten. Er übertreibt alle Sachen, spielt aber das Klavier sehr gut und die Orgel noch besser. Er hat seine Lüge in der Zeitung widerrufen, auch in Versen, die aber nicht so gut geraten sind als sein Grablied.

Jetzt fängt es an, Tag zu werden und ich will eben hingehen, den Musicum Reissenberger zu besuchen, der mir mit einigen seiner Musikalien ein Geschenk gemacht und sonst viele Höflichkeit erwiesen hat. Gott befohlen Betty! Die Du mit teurer bist als Gold und Edelgestein. Ich wollte, ich säße erst auf dem Wagen und der Wagen wäre erst in Hamm! Lebe wohl, lebe noch einmal, lebe noch tausendmal wohl, ich habe Dich von ganzer Seele lieb.

Dein Matz

 

Matthias Claudius und Anna Rebecca, geb. Behn | Berlin, Dienstag 1775

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