Liebste Freundin

Liebste Freundin!

Ich bitte Sie, mir zu verzeihen, dass ich heute nicht die Variationen zu der Arie sende, die Sie mir übermittelt haben, aber ich halte es für notwendig, so schnell als möglich auf den Brief Ihres Herrn Vater zu antworten, so dass mir keine Zeit bleibt, sie niederzuschreiben; und darum ist es mir auch unmöglich, sie zu senden – aber mit meinem nächsten Brief sollen Sie sie bestimmt bekommen. Ich hoffe, dass meine Sonaten bald gedruckt sein werden, und bei dieser Gelegenheit sollen Sie auch das „Popolo di Tassaglia“ erhalten, das halb fertig ist – und wenn Sie damit so zufrieden sein werden, wie ich es bin, will ich mich glücklich nennen. Ich wünsche mir nur, recht bald Nachricht zu haben, wie Ihnen diese Szene gefällt, denn ich habe sie ausschließlich für Sie geschrieben, und darum will ich auch kein anderes Lob erhalten als das Ihre. Ich selbst habe den Eindruck, in diesem Genre nichts Besseres in meinem ganzen Leben geschrieben zu haben. Sie würden mir die größte Freude machen, wenn Sie sich gleich mit ganzem Eifer an das Studium der Andromeda-Szene machen würden, denn diese Szene wird Ihnen ausgezeichnet liegen, und Sie werden mit ihr überall Ehre einlegen. Ich empfehle Ihnen; viel Ausdruck, ganz dem Sinne und der Kraft der Worte nachgeben und sich in den Zustand und die Lage der Andromeda versetzen! Stellen Sie sich vor, Sie selbst seien diese Person: so werden Sie – mit Ihrer herrlichen Stimme und Ihrer schönen Gesangstechnik – in kürzester Zeit wahrhaft hervorragend sein. Im nächsten Briefe, den ich die Ehre haben werde Ihnen zu schreiben, will ich vor allem eine kurze Erklärung der Art und Weise geben, wie ich die Szene gerne von Ihnen gesungen und vorgetragen wüsste; aber nichtsdestoweniger bitte ich Sie, sie schon jetzt zu studieren, um nachher den Unterschied zu sehen. Ich denke, dass das für Sie höchst nützlich sein kann, zumal ich überzeugt bin, dass es nicht viel zu verbessern oder zu ändern geben wird und Sie das meiste ohnedies so machen werden, wie ich es mir wünsche. Das weiß ich aus Erfahrung, denn in jener Arie, die Sie allein studiert haben, habe ich nichts auszusetzen oder zu verbessern gefunden – Sie sangen sie gerade mit dem Geschmack, der Art und dem Ausdruck, die ich gewünscht habe; darum habe ich wohl alles Recht, Vertrauen in Ihre Kunst und Ihr Können zu setzen … Genug, Sie haben Fähigkeiten – und höchste Fähigkeiten – und ich empfehle Ihnen nur (und ich bitte Sie inständigst darum), die Güte zu haben, meine Briefe einige Male nachzulesen und die Sachen so zu machen, wie ich sie anrate – und überzeugt zu sein und ganz sicher, dass alles, was ich Ihnen sage oder je gesagt habe, niemals anderer Absicht entspringt oder entspringen wird als jener: Ihnen so viel Gutes als nur möglich zu tun…

Teuerste Freundin! Ich hoffe, dass Sie sich bei allerbester Gesundheit befinden – ich bitte Sie, immer wohl auf sich zu achten, denn die Gesundheit ist das beste Ding auf der Welt; ich bin Gott sei Dank, wohlauf, aber ich fühle mich nicht ruhig und werde es wohl auch nicht sein können, bis ich nicht die Gewissheit haben werde, dass man Ihrem Talent Gerechtigkeit widerfahren lässt – aber ganz glücklich werde ich erst sein an jenem Tage, an dem ich die höchste Freude haben werde, Sie wiederzusehen und von ganzem Herzen zu umarmen – das ist mein größter Wunsch, und in dieser Sehnsucht finde ich meinen einzigen Trost und meine einzige Beruhigung. Ich bitte Sie, mir oft zu schreiben – Sie können sich gar nicht vorstellen, welche Freude mir Ihre Briefe bereiten. Ich bitte Sie, mir immer zu schreiben, wenn Sie zu Herrn Marchand gehen, sowie auch mir zu erzählen, wie es mit dem Studium geht – darum bitte ich Sie ganz besonders. Genug, Sie wissen ja, dass alles, was Sie angeht, mich über alle Maßen interessiert. Übrigens soll ich Ihnen die besten Komplimente eines Herrn übermitteln, des einzigen Freundes, den ich hier schätze und sehr gern habe, vor allem weil er ein wahrer Freund Ihrer Familie ist, der das Glück hatte und die Freude, Sie oftmals auf dem Arm zu tragen und hundertmal zu küssen, als Sie noch klein waren – es ist dies der Herr Kümli, Maler der Kurfürsten – eine Freundschaft, die mir der Herr Raff vermittelt hat, mit dem ich jetzt engst befreundet bin, und besonders darum, weil er es auch mit Ihnen ist und mit der ganzen Familie Weber – und Herr Raff weiß, dass er das eine nicht ohne das andere sein kann. Der Herr Kümli wird nie müde, von Ihnen zu sprechen, und darum kann ich gar nicht aufhören, mich mit ihm zu unterhalten; er ist ein wahrer Freund Ihres ganzen Hauses, und da er von Herrn Raff weiß, dass es für mich kein größeres Vergnügen gibt, als von Ihnen zu reden, versäumt er es nie. – Adieu nun für heute, teuerste Freundin, ich sehne mich nach einem Brief von Ihnen, ich bitte Sie sehr, mich nicht lange warten zu lassen und zu sehr zu sehnen … ich hoffe also auf baldigste Nachricht – ich küsse Ihnen die Hände, ich umarme Sie von Herzen und werde immer sein

Ihr wahrer und aufrichtiger Freund W. A. Mozart

 

Wolfgang Amadeus Mozart an Aloysa Weber

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